Stadtvögel

Stadtvögel

Stadtvögel

Mit Beginn der Freibadsaison sind die Mauersegler (Apus apus) aus ihrem Winterquartier in Afrika zurückgekehrt und fliegen jetzt am Himmel über Berlin. Wenige Tage zuvor hat sich die erste Nachtigall (Luscinia megarhynchos) hören lassen. Oder ist es der Sprosser (Luscinia luscinia), dessen Gesang schwer von dem seiner Schwesterart unterscheidbar ist und nun die langen Kreuzberger Nächte erfüllt? Selbst »Ornis«, also Vogelkenner, wissen das manchmal nicht genau. Auch die angeblich namengebende Färbung der »Nordischen Nachtigall«, eine sprossenartig gefleckte Brust, hilft nicht weiter, denn die scheuen Singvögel aus der Familie der Fliegenschnäpper, deren Verbreitungsgebiet sich in Nord- und Ostdeutschland mit dem der Nachtigall überschneidet, verbergen sich gerne im Unterholz. Was es auf dem aufgeräumten Land kaum noch gibt.

»Die Landschaft meiner Kindheit war voller Leben«, resümierte der Biologe und Agrarwissenschaftler Michael Succow 2014 im Rückblick auch auf seine in Tagebüchern festgehaltenen Vogelbeobachtungen.[1]

In diesem Sinne stellte der Evolutionsbiologe Josef Reichholf ebenfalls 2014 im Tagesspiegel fest: »Der ›Moloch Großstadt‹ […] ist für Nachtigallen attraktiver als das ›schöne grüne Land‹. Sie haben Berlin zu ihrer Hauptstadt gemacht, mehr als 1000 Sänger leben im Stadtgebiet. Die Spatzen pfeifen es von den Dächern, dass man auf dem Land nicht mehr leben kann, wo die Agrarindustrie so intensiv wirtschaftet wie noch nie. Da bleibt kein Freiraum mehr für die Vögel, kein ungenutzter Randbereich. Die Fluren sind seit Jahrzehnten überdüngt. Pestizide und Herbizide vernichten die Nahrung der Kleinvögel. […] Der Frühling ist leise geworden über den Fluren; vielerorts tatsächlich stumm.«[2]

Damit nimmt er vorweg, was die Kleine Anfrage der Grünen-Abgeordneten Steffi Lemke unter dem Titel »Stummer Frühling – Verlust von Vogelarten«[3], ebenfalls mit Bezug auf das Rachel-Carson-Buch Silent Spring (1962), Anfang Mai 2017 ergeben hat:

»Auf einen Verlust von rund 300 Millionen Brutpaaren werden die Rückgänge in der Agrarlandschaft der Europäischen Union zwischen 1980 und 2010 veranschlagt. […] Arten der Agrarlandschaft mussten die stärksten Bestandseinbußen hinnehmen. […] Besonders prekär ist die Situation der typischen Grünlandbewohner. […]
Die Bestandsrückgänge der Agrarvögel werden ebenso wie die vieler anderer Vogelarten einer Vielzahl von Gefährdungsursachen zugeschrieben.« […] Für den Rückgang verantwortlich seien besonders folgende Faktoren: »Lebensraumveränderungen, Verringerung des Nahrungsangebotes (insbesondere Rückgang der Insektenbiomasse) und direkte Verfolgung (Prädation)«.

Aber welche Maßnahmen gedenkt das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu ergreifen, um dem entgegenzuwirken? Auf die Frage, ob der Plan bestehe, einen »möglichen Zusammenhang zwischen abnehmenden Vogelbeständen und dem Rückgang an Insektenbiomasse infolge des Einsatzes von Neonikotinoiden wissenschaftlich untersuchen zu lassen, was laut Einschätzung von Entomologen und Naturschutzverbänden eine Erklärung für abnehmende Insektenvorkommen auch in Naturschutzgebieten darstellt«, heißt es lapidar:

»Es ist nicht sinnvoll, die Auswirkungen einzelner Wirkstoffe oder Produktgruppen isoliert von der gesamten Praxis des Pflanzenschutzmitteleinsatzes zu sehen. […]«

Und hinsichtlich der Umschichtung von Mitteln der ersten zur zweiten Säule[4] der Gemeinsamen Agrarpolitik ist die Antwort:

»Die Bundesregierung führt derzeit eine ergebnisoffene Überprüfung des Prozentsatzes der Umschichtung durch. Die Meinungsbildung innerhalb der Bundesregierung im Rahmen dieser ergebnisoffenen Überprüfung ist noch nicht abgeschlossen.«

Was sagt Umweltbundesministerin Barbara Hendricks dazu? Der kurze Aufruhr, den ihre Kampagne mit den neuen Bauernregeln Anfang Februar verursachte, darunter ein Plakat zum Thema Vogelschutz, ist nach massiven Protesten der organisierten Bauernschaft verpufft.[5] Ihr neuerlicher Appell an die Landwirtschaft lautete daraufhin: »Wir müssen reden.« Doch wie geht es nun weiter mit dem »Dialog Landwirtschaft«?

Noch bis zum 2. Mai 2017 bestand »die Möglichkeit, bei der Befragung der EU-Kommission Ihr Votum zur künftigen Verteilung der Agrar-Subventionen abzugeben. Hierbei können sich alle Bürgerinnen und Bürger der Union an der Online-Befragung zur künftigen EU-Agrarpolitik beteiligen und dabei mitreden, wie die EU-Gelder in der Landwirtschaft nach 2020 verteilt werden sollen. Machen Sie mit!«[6]

Wir sind gespannt!

 

Abbildung: Eine von insgesamt elf »Neuen Bauernregeln« des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Die Kampagne »Gut zur Umwelt. Gesund für alle« lief von Anfang Februar bis Mitte März 2017, die Plakate wurden bereits Mitte Februar zurückgezogen.
Foto: BMUB


[1] Michael Succow, »Die Landschaft meiner Kindheit war voller Leben! – Gedanken zur Zukunft unserer Kulturlandschaft«, Beitrag zur Tagung Mehr Vielfalt in Agrarlandschaften, Ev. Akademie Sachsen-Anhalt e.V., 2014
[2] Tagesspiegel vom 30.5.2014, http://www.tagesspiegel.de/wissen/vogelkunde-die-nachtigall-singt-in-berlin/9971436.html (Stand: 9.5.2017).
[3] http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/18/121/1812195.pdf vom 2.5.2017 (Stand: 9.5.2017).[4] »Die erste Säule bilden die Direktzahlungen an die Landwirte, die – bei Erfüllung der jeweiligen Voraussetzungen – je Hektar landwirtschaftlicher Fläche gewährt werden. Die zweite Säule umfasst gezielte Förderprogramme für die nachhaltige und umweltschonende Bewirtschaftung und die ländliche Entwicklung.« https://www.bmel.de/DE/Landwirtschaft/Agrarpolitik/_Texte/GAP-NationaleUmsetzung.html (Stand: 9.5.2017). Vgl. außerdem Der Kritische Agrarbericht 2013, Schwerpunkt: Agrarreform, hg. vom AgrarBündnis e.V., Konstanz/Hamm 2013, mit Hintergrundberichten und Positionen zur Agrardebatte im Zusammenhang mit der Neugestaltung der Gemeinsamen Agrarpolitik im Förderzeitraum 2014–2020.
[5] Zur Reaktion auf die Kampagne siehe u.a. http://www.sueddeutsche.de/panorama/neue-bauernregeln-wir-wollen-niemand-diffamieren-uns-liegt-nur-viel-an-pflanz-und-tieren-1.3364340; http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/bauernregeln-kampagne-hendricks-entschuldigt-sich/19373974.html; http://www.rp-online.de/politik/deutschland/barbara-hendricks-entschuldigt-sich-bei-landwirten-fuer-neue-bauernregeln-aid-1.6596728 (Stand: 9.5.2017).
[6] http://www.bmub.bund.de/dialog-landwirtschaft (Stand: 9.5.2017).