»Look & See«

»Look & See«

Look & See: A Portrait of Wendell Berry

Auf dem Waldweg läuft ein Hund voraus, es ist Herbst, die Blätter sind gelb und braun. Wenig später schwenkt die Kamera auf das Gatter zur Farm. Spitze Steine liegen auf dem unbefestigten Weg, schwach erkennt man landwirtschaftliche Gebäude hinter einer großen Wiese.

So beginnt der Film der US-amerikanischen Regisseurin Laura Dunn über den Dichter, Schriftsteller, Farmer und Umweltaktivist Wendell Erdman Berry (geb. 1934), der auf der diesjährigen Berlinale seine Deutschlandpremiere feierte: Look & See (2016). Der heute 82-jährige Wendell Berry selbst ist in dem Film nur durch sein Sprechen anwesend, gleichwohl nimmt Look & See seine Perspektive ein. Erzählt wird anhand alter Fotografien und Archivmaterials, mit den Bildern und Stimmen anderer. Seine Frau, seine Tochter kommen zu Worte, ebenso ein Biobauer aus der Gegend, der es nach Jahren der Mühsal endlich geschafft hat, ein funktionierendes CSA-Modell aufzubauen: Er hat Unterstützer gefunden, die ihm seine Obst- und Gemüsekörbe abnehmen und das Risiko schwankender Preise oder gar Ernteausfälle mit ihm tragen. Community Supported Agriculture. Für ihn ist Agrikultur nicht nur eine Lebensart, sondern »an art«, eine Kunst.

Zwei Farmer, Vater und Sohn, die ebenfalls in der Gegend von Henry County, Kentucky, zu Hause sind, wo die Familie von Wendell Berry seit vielen Generationen lebt, sprechen über die Fallstricke des Marktes: moderne Maschinen sowie der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und verändertem Saatgut, was die Arbeit erleichtert und den Ertrag steigert; Umstellung auf Monokulturen; Zukauf von Land aufgegebener Betriebe, um die zu bewirtschaftende Fläche weiter zu vergrößern; die Anschaffung leistungsstärkerer Maschinen; mehr Düngemittel, mehr Saatgut, mehr Umsatz, geringere Gewinnmargen, größere Verschuldung. Wenn jetzt etwas dazwischen kommt, müssen auch sie ihren Betrieb aufgeben, wegen nicht bezahlter Kredite.

Die Verschuldungsfalle hat Wendell Berry schon früh beschrieben, im Buch The Unsettling of America (1977), das diesem Film als eine Art Drehbuch dient. Denn Berry hat nicht nur über die Schönheiten des Landes geschrieben, sondern auch früh auf die Auswirkungen der Agrarindustrie hingewiesen und gemahnt.

So erlebt man den hoch gewachsenen jungen Mann, der zeitweise an den Universitäten in Kalifornien und New York gelehrt hat, in Diskussionen als Widersacher von Earl Butz, Landwirtschaftsminister der USA unter Nixon und Ford in den 1970er-Jahren. Butz war verantwortlich für den landwirtschaftlichen Strukturwandel und hat hauptsächlich auf Mais gesetzt: Get big or get out. Um diese Zeit hatte Wendell Berry bereits die Farm seiner Eltern im ländlichen Kentucky übernommen und mit Frau und Kindern seinen Lebensmittelpunkt nach Henry County verlegt.

Schwarz-Weiß-Bilder seines Freundes, des Fotografen James Baker Hall, zeigen Berry und seine Frau Tanya auf dem Feld, ein schönes Paar. Berry mit dem Baby auf dem Arm. Sein Arbeitszimmer. Zurückgelehnt, die Füße auf dem Tisch, sitzt er da mit dem Blick hinaus durch die vielen kleinen Scheiben seines Fensters und schreibt. An diesem Platz sind wohl die meisten seiner rund siebzig Bücher entstanden, hier schreibt er bis heute.

Es gibt Filmaufnahmen, die zeigen, wie der Tabak geerntet wird, ein Zusammenspiel aus Armen und Händen und den Maschinen auf dem Feld. Wie die Männer waghalsig ins Gebälk der Tabakscheunen klettern, wo die langen Blätter langsam trocknen. Tabakbraun. Und es gibt Aufnahmen, die die maschinisierte Ernte zeigen: Wie schnell das geht. Mexikanische Landarbeiter helfen dabei mit. Sie sprechen vom Opfer, das sie erbringen, wenn sie ihre Familien verlassen, um nach Kentucky zur Tabakernte zu gehen.

Alte und neue Aufnahmen wechseln sich ab, dazwischen Zitate seiner Bücher, man hört die Stimme Berrys aus dem Off. Wie sich die Landwirtschaft in den USA und mit ihr das Land verändert hat, welche Gemeinschaft sie zerstört, und wie die Männer, ausgerüstet mit robusten, wetterfesten Jacken, noch immer auf dem Feld stehen, down to earth. Stolz auf ihr Leben, ihre Werte, und zugleich hoffnungslos. Am Ende kehrt der Film wieder zum Gang über den herbstlichen Waldweg zurück.

Wendell Berry sei die Stimme des ländlichen Amerika, nicht Trump, sagte jemand beim Gespräch nach der Vorführung. Und wer hat die Holzschnitte gemacht? Jedes Kapitel des Films wird eingeleitet von einem anderen Motiv. Wesley W. Bates hat sie alle in Holz geritzt. Lebhaft hat man den großen Mann vor Augen, wie er Reihe für Reihe übers Feld schreitet und die Saat für die nächste Ernte ausbringt – der ewige Sämann, ein gleichsam archaisches Motiv.

Ursprünglich sollte der Film »The Seer« heißen, der Seher. Doch Wendell Berry empfand das als Überhöhung seiner Person; auch lehnte er es ab, vor der Kamera aufzutreten. Durch diesen gewissermaßen ungewollten Kunstgriff lässt der Film uns an Wendell Berrys Blick auf die Welt teilhaben und fordert uns auf, uns selbst ein Bild zu machen: »Look & See«.

Look & See: A Portrait of Wendell Berry (2016)

 

Foto: © Two Birds Film™