Kreuzberger Salon 63 | N.N.

N.N.

Die Abkürzung N.N. wird bei Texten, Veranstaltungen und Organisationen als Platzhalter für eine noch zu benennende Person verwendet: lat. Nomen nominandum. Hier ist N.N. Arbeitstitel und Titel in einem, es steht für »Natur«. Wir kennen also ihren Namen, wissen aber nicht (mehr), was sie ist. Mittelalterliche Scholastiker haben der Natur einen Doppelcharakter zugesprochen als Natura naturata (geschaffene Natur) und als Natura naturans (schaffende Natur). Heute gibt es u.a. den Ansatz, ihre Ressourcen als Naturkapital zu bezeichnen, ihre Leistungen als Ökosystemdienstleistungen. Um sie, die lange externalisiert waren, zu internalisieren, also in die wirtschaftliche Gesamtrechnung einbeziehen zu können, müssen sie quantifizierbar sein.

Natur (physis) und menschlicher Haushalt (oikos) wurden in der westlichen Ideengeschichte lange Zeit als getrennte Bereich verstanden, als Drinnen und Draußen. Das Wirtschaften (oikonomia) bediente sich der Natur dabei in zwei Richtungen: zur Entnahme von Rohstoffen und zur Ablagerung von Abfällen. Mit dem Übergang von Agrargesellschaften zu Industriegesellschaften hat dieser Stoffwechsel (Metabolismus) stark zugenommen. Seit den 1970er-Jahren gibt es Stimmen, die vor einer Krise der Umwelt warnen. Angesichts des Ausmaßes der menschlichen Ablagerungen macht zurzeit ein Begriff aus der Geologie in vielen Bereichen Karriere: Anthropozän – wir leben im  Zeitalter des Menschen. Das Konzept stößt aber auch auf Kritik: Nicht der Mensch (anthropos) habe diesen Zustand der Natur zu verantworten, sondern der industriell-kapitalistisch wirtschaftende Teil der Menschheit. Der treffendere Ausdruck für unser Zeitalter sei demnach Kapitalozän.

Demgegenüber steht der Traum »einer Ökonomie, die die Koordination unzähliger ökonomischer Systeme unterschiedlichster Wertbereiche bedeutet, die die Prinzipien von Endlichkeit und Regeneration anerkennen«[1] (Claire Pentecost) und der Ökonomie der Monokultur und ihrer mit Preisen versehenen »Natur, die das Kapital sehen kann«[2] (Morgan Robertson) entgegentritt.

Daran knüpft sich die Frage, inwiefern sie Subjekt und/oder Objekt ist, als Ressource ausgebeutet und in ihrem Funktionieren geschädigt werden kann. Oder doch als eine noch unbekannte Person verstanden werden sollte, der Rechte zuzugestehen sind. Dann müsste es heißen: Wer ist die Natur?


[1] Claire Pentecost, Notes from Underground / Notizen aus dem Untergrund (100 Notes – 100 Gedanken / 100 Notizen – 100 Gedanken | N° 061), Ostfildern 2012, S. 39.
[2] Morgan Robertson, »The nature that capital can see: science, state, and market in the commodification of ecosystem services«, in: Society and Space, 24, 2006, S. 367–387.

 

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