Das Anthropozän-Projekt. Eine Eröffnung

Das Anthropozän-Projekt. Eine Eröffnung

Auf der Bühne kauert ein nackter Mann und bellt. Draußen, bis dicht an die Glasscheibe, hat sich ein Fuchs herangewagt, eine schwarze Silhouette im grün angestrahlten frischen Schnee. Die nächtliche Performance von Xavier Le Roy geriet unbeabsichtigt zum radikalsten Bild einer radikal zu Ende gedachten These: Innen und Außen verschwimmen. Welcome to the Anthropocene!

Vier Tage lang (10.–13. Januar 2013) hatte man Gelegenheit, im Haus der Kulturen der Welt einer »Eröffnung« beizuwohnen, die angesichts eines epochalen Paradigmenwechsels den inter-, trans-, gar postdisziplinären Dialog sucht. Aber was heißt es, wenn Natur-, Geistes- und Humanwissenschaftler aufeinandertreffen, hat sich deren Sprache doch weitgehend auseinanderentwickelt und spezialisiert? Die Verständigung über einen Prozess, der naturwissenschaftlich messbar und problematisierbar ist, aber eine kulturelle Antwort erfordert, fällt nicht leicht.

Spätestens seit der Industriezeit, verstärkt wirksam ab den 1950er-Jahren, als sich der Zugriff einer explodierenden Bevölkerung auf die natürlichen Ressourcen für Entnahme und Deponie exponentiell zu steigern begann (»die große Beschleunigung«), ist das Gleichgewicht der Erde aus den Fugen geraten. Klimawandel ist das am leichtesten wahrnehmbare und am meisten diskutierte Phänomen. Artensterben, Versauerung der Meere, Bodendegradation und die Vermüllung der Erde aber sollten und werden uns künftig mindestens ebenso beschäftigen. Wie Dipesh Chakrabarty, ein prominenter Historiker, der sich mit Postcolonial Studies beschäftigt, es ausdrückt: Sein Zeitrahmen war bisher zu eng. Ungerechtigkeiten bestehen zwischen »The West and the Rest« seit der Kolonialzeit. Aber der (klimabegünstigte) globale Norden wird auch künftig auf der Gewinnerseite bleiben. Ein Ausgleich, damit 2050 geschätzte 9,3 Milliarden Menschen auf der Erde existieren können, wird nicht ohne harsche Verteilungskämpfe abgehen. Überhaupt ist fraglich, ob und wie es ein friedliches Zusammenleben geben kann, wenn die Politik weitermacht wie bisher.

Seine Stimme war nur eine von vielen, die die Realität drastisch vor Augen führen und ein Umdenken auf ganzer Linie verlangen. Video- und Audio-Mitschnitte der verschiedenen Vorträge und Diskussionsrunden sind inzwischen online gestellt.

Den Fortgang des »Anthropozän-Projekts« im Haus der Kulturen der Welt mit Ausstellungen, Konzerten, Vorträgen und Gesprächen kann man 2013 und 2014 weiterverfolgen. Das Programm ist abrufbar unter Das Anthropozän-Projekt.

Haus der Kulturen der Welt, Berlin
Kreuzberger Salon 23 | Das ganz Neue