Eigener Wein

Eigener Wein

Eigener Wein

Der Weinbauer schlägt ein Kreuz, nachdem er die Qvevri verschlossen hat, das traditionelle Tongefäß, in dem in Georgien der Wein auch heute noch vergoren wird. Dann entzündet er eine Kerze an dem kleinen Altar im Keller. Von der Amphore bleibt nur der Deckel sichtbar, der Rest ist im Boden vergraben.

Das gleiche Ritual wiederholt sich, wenn im Frühjahr der Deckel der Qvevri gelöst und – wie im Mythos die Fruchtbarkeitsgöttin Persephone der Unterwelt entsteigt – der erste junge Wein verkostet wird. Sein Potenzial ist schon spürbar, aber bis zur eigentlichen Trinkreife können noch Jahre vergehen.

Bei dem, was aktuell als Naturwein oder »Natural Wine« gehypet und in Georgien schon seit Jahrtausenden praktiziert wird, geht es nicht in erster Linie um Geschmack – an den sich unsere von der Lebensmittelindustrie korrumpierten Zungen erst noch gewöhnen müssen. Was fasziniert, sind vielmehr ganzheitliche, sinnstiftende Prozesse, will heißen: Wein vom Anbau über den Ausbau bis hin zum – gemeinsamen – Trinkgenuss, Essen und Gesang inklusive.

Die Aufnahmen im Film Our Blood is Wine (USA, 2017) von Emily Railsback, der zeigt, wie eine Qvevri in mühsamer Handarbeit aus Tonerde geformt wird, die Weinbauern bei der Ernte durch einen völlig zugewachsenen Weinberg (»ergibt mehr Fruchtsüße«) begleitet, mit am Tisch sitzt bei Mahlzeiten und Gesang, haben eine große Nähe und Direktheit, die unmittelbar ansprechen. So sollte es sein. Sicherlich verstärkt wird diese Direktheit durch das Aufnahmegerät, das die junge Filmemacherin mit ihrem Begleiter, Sommelier Jeremy Quinn, beide aus Chicago, bei ihrer Reise durch Georgien mit großer Selbstverständlichkeit verwendet hat: ein iPhone 6. Auf der Suche nach dem Ursprung des Weins zogen sie beide mit Zelt und wenig Gepäck während Monaten durch die Heimat der Vitis vinifera, der mittlerweile weltweit angebauten Weinrebe, die in Georgien seit fast 8000 Jahren kultiviert wird. Hier lassen sich jahrhundertealte, aber noch fruchtbare Rebstöcke finden, knorrig verwachsen und wild durch mehrere Bäume rankend. An entlegenen Stellen wartet eine große Vielfalt von autochthonen Sorten, die wiederentdeckt und bestimmt werden müssen, nachdem die sozialistische Planwirtschaft Georgien zwischenzeitlich zum industriellen Massenerzeuger von überwiegend süßem Rotwein für den Bedarf der ganzen Sowjetunion in die Pflicht genommen hatte. Nur auf Subsistenzniveau konnten sich die Georgier in dieser Periode das Wissen ihrer eigenen Kultur erhalten, das nie schriftlich fixiert worden ist, aber von Vater zu Sohn – seltener zu Tochter – weitergegeben wurde und nun einzelnen Familien als Neuanfang dient.

Den im Film besuchten Winzern geht es um Wein als Kultur und Handwerk. Sie geben ein Bekenntnis ab zu Herstellungsweisen, die Grenzen haben, jenseits derer sich der Wein in seinem Charakter verändern würde: zur industriellen Ware. Den besten Wein trinkt man als Gast in der Weinbauernfamilie.

Hierin treffen sie sich mit der Herstellungsweise des Films, der auch ohne große Technik und großes Budget auskommt. Der Film ist Ergebnis eines langjährigen Projekts und vieler Reisen sowie eines persönlichen Interesses von Emily Railsback und Jeremy Quinn. Ihr Engagement geht soweit, dass sie sich nicht einmal zu schade dafür sind, sich einem alten Winzer für Hilfsarbeiten wie dem anstrengenden Schrubben der Amphoren anzudienen, nur damit er seine traditionellen Weinbaupraktiken nicht aufgibt. Und am Ende nehmen sie gar ihren eigenen Wein in Angriff.

Während der Film auf der Berlinale 2018 in der Reihe »Kulinarisches Kino« seine Premiere mit einem anschließenden Essen hatte und die mit dem iPhone gemachten Aufnahmen selbst auf Berlins größter Leinwand technisch bestehen konnten, ist der Filmemacherin und dem Sommelier noch etwas anderes gelungen: Our Blood is Wine transzendiert die Hermetik des Cineastischen und hebt die überkommene »Aufteilung des Sinnlichen« – als ob es überhaupt jemals nur um das Schauen gegangen wäre – in befreiender Weise wieder auf.

 

Emily Railsback, Our Blood is Wine (USA 2017), 78 min
Foto: Georgian winemakers rebuilding their wine cellar © Emily Railsback c/o Music Box Films

www.emilyrailsback.com
www.musicboxfilms.com