Kreuzberger Salon 42 | Frei handeln (II)

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Handel ist dabei, Diplomatie vom ersten Platz politischer Maßnahmen zu verdrängen. Die Sanktionen gegen Russland, womit »der Westen« das »Fehlverhalten« Putins – die Annexion der Krim durch russische Truppen und das Vorgehen in der Ostukraine – bestrafen will, scheinen zu greifen. Russland sieht sich in die Enge getrieben: Statt weiterhin ungehemmt westliche Konsumgüter gegen Öl und Gas einzutauschen, erlässt es seinerseits einen Importstopp für Agrargüter, besinnt sich auf heimische Produkte und feiert die russische Landwirtschaft.
Wenn es heißt, »Frieden durch Handel«, gilt dann auch der Umkehrschluss: »Nichthandel = Krieg«?
Als großes Land wäre Russland durchaus in der Lage, sich selbst zu versorgen. Anders sieht es aus im dicht besiedelten Europa.

Hillary Clinton hat im Zusammenhang mit dem derzeit verhandelten transatlantischen Freihandelsabkommen von einer »economic NATO« gesprochen. Eine Provokation? Oder hat sie nur in Worte gefasst, was die weitere Verflechtung der Europäischen Union mit ihrem wichtigsten Handelspartner, den USA, unterschwellig motiviert? Eine Blockbildung des alten mit dem neuen Westen. Gegen die BRICS-Staaten, insbesondere gegen Russland und China.

Das aktuell verhandelte transatlantische Freihandelsabkommen (Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP), eine privilegierte Partnerschaft zwischen der EU und den USA, möchte Globalisierung gestalten UND einen größeren Wirtschaftsraum schaffen, in dem zum beiderseitigen Vorteil zwischen zwei gleichberechtigten Partnern Handel getrieben wird. Eine Win-win-Situation, bei der Handelsumleitungen zwar durchaus eingeräumt, der Ausschluss anderer aber nicht offen zum Gegenstand gemacht wird, da Handelsbelebung nicht als Nullsummenspiel verstanden wird, sondern als wundersame Goldvermehrung.

Ein offener Markt – frei von Zöllen, aber auch frei von anderen indirekt protektionistischen Maßnahmen. Sogenannte »behind the boarder barriers«, die den Handel hemmen würden, wie Zulassungsverordnungen, Prüfverfahren, Standards und Normen, sollen abgeschafft oder harmonisiert werden. Da bei den transatlantischen Bündnispartnern von einer Wertegemeinschaft per se ausgegangen wird, schließt man, dass sich diese leicht zu einer Wirtschaftsgemeinschaft ausbauen ließe. Aber sind die Werte wirklich so ähnlich oder gar gleich? Möglicherweise bestehen nicht erst seit 2003, als Donald Rumsfeld in Reaktion auf die Ablehnung des Irak-Kriegs durch einige europäische Länder von »old Europe« sprach, deutliche Unterschiede. Sowohl was die Verantwortung gegenüber der Welt als auch den Umgang mit Energien betrifft. Von Natur- und Umweltschutz, Lebensmittelsicherheit und Verbraucherrechten ganz zu schweigen.

Was schon auf der Ebene der EU schwierig ist, die Harmonisierung national unterschiedlicher Regelungen, wird für die Verhandlungen zwischen Europa und den USA zur Crux. Die Angleichung technischer Normen birgt kein Problem, aber Vorsorgeprinzip und sound science basieren auf konträren Denkweisen und sind nicht vereinbar. Sie sind fast schon so etwas wie eine misstrauisch beäugte fremde Kultur.

Über eine Aktualisierung der alten Debatte Liberalismus versus Protektionismus hinaus, artikuliert sich in der Kritik an TTIP ein zivilgesellschaftliches Unbehagen an supranationalen Entscheidungen jenseits der demokratischen Spielregeln der Nachkriegsordnung. Zu Buche schlägt auch der negative Synergieeffekt der NSA-Affäre. Dabei wird übersehen, dass es im genuinen Interesse von Deutschland als exportabhängigem Industrieland liegt, sich Märkte zu sichern. Und auch die EU nicht vom Binnenhandel alleine lebt. Ob ein bilaterales Handelsabkommen heute das geeignete Mittel ist, die Verwerfungen einer globalisierten, arbeitsteiligen Welt aufzufangen, ist allerdings fraglich. Die USA haben zumindest noch die Option auf den pazifischen Raum als zweites Standbein. Für die EU bekommt TTIP dagegen mit den Schwierigkeiten im Verhältnis zu Russland die Attraktivität von Alternativlosigkeit.

→ TTIP & CETA – Segen für die Wirtschaft oder Gefahren für Demokratie, Kultur, Natur und Gesundheit
Diskussionsveranstaltung an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde

 

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