Kreuzberger Salon 43 | Richtig gute Freunde

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»Früher interessierten sich nur wenige für Themen wie Strukturanpassungskredite … und Bananenquoten … Heute erregen sich schon 16-jährige Heranwachsende über esoterische Abkommen wie GATT (das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen) und NAFTA (die Nordamerikanische Freihandelszone …)«, schrieb Joseph Stiglitz 2002 in Die Schatten der Globalisierung.[1]

Nicht Esoterik, sondern Geheimhaltung ist heute, wie in den letzten Monaten zu sehen war, die Regel bei transnationalen Vereinbarungen. Sei es im Rahmen der aktuellen Freihandelsabkommen wie TTIP und CETA, sei es bei internationalen Schiedsgerichtsverfahren, die als Investor-Staat-Schlichtungsverfahren in den meisten Investitionsschutzabkommen vorgesehen sind.

Auch die Vertreter der 50 Staaten, die derzeit als Nachfolgeabkommen für das 1995 in Kraft getretene General Agreement on Trade in Services (GATS) eine neue Vereinbarung für den Handel mit Dienstleistungen, das Trade in Services Agreement (TiSA), aushandeln, setzen auf die Verschwiegenheit im Kreis der »Really Good Friends of Services«. Und so dringt wenig an die Öffentlichkeit, was die Gemüter erregen könnte.

Wie in TiSA damit umgegangen wird – und was dank WikiLeaks im Juni 2014 publik gemacht wurde[2] –, stellt die übliche Praxis allerdings in den Schatten: Erst fünf Jahre nach Abschluss der Verhandlungen respektive Inkrafttreten der Vereinbarungen darf die Geheimhaltung aufgehoben werden. Transparenz – seinerzeit auch schon von Stiglitz gefordert – ist im Umfeld dieser Verhandlungen also ein Fremdwort. Da auch das plurilaterale Abkommen TiSA – wie derzeit viele andere bilaterale Abkommen – nach dem vorläufigen Scheitern der Doha-Runde nicht im Rahmen der WTO, sondern quasi außerparlamentarisch verhandelt wird, unterliegt es keiner paritätischen Kontrolle durch die Weltgemeinschaft (»one country, one vote«). Trotzdem wäre es nach Abschluss auch für nicht beteiligte Länder bindend.

»Mehr Wettbewerb bei Dienstleistungen klingt technisch«, schrieb die Süddeutsche Zeitung im Juni 2014. »Tatsächlich stellen Servicebranchen von IT über Logistik, Beratung und sehr viel anderes drei Viertel der europäischen Wirtschaftsleistung. Und drei Viertel aller Jobs. Also den Großteil der europäischen Ökonomie.«[3] Während bei TTIP und CETA die Harmonisierung von Standards mit am kritischsten bewertet wird, liegen die Hauptgefahren bei TiSA im immateriellen und sozialen Bereich: durch eine »Entstofflichung« der Güter und weltweiten Datenverkehr sowie die Vermarktung öffentlicher Dienste.

Eignen sich die neuen übergroßen Containerschiffe zum Sinnbild für den liberalisierten Warenverkehr à la TTIP, konkurrieren bei TiSA die Abhörstationen der NSA mit den Sweatshops chinesischer Arbeiter in Italien oder den Rollkoffern der transnationalen Eliten-Migration: internationale Leiharbeit als Erfüllung des wirtschaftsliberalen Traums weltweiter Arbeitsteilung.

 


[1] Joseph Stiglitz, Die Schatten der Globalisierung, S. 17, Berlin 2002; Bonn 2002
[2] https://wikileaks.org/tisa-financial/WikiLeaks-secret-tisa-financial-annex.pdf
[3] Alexander Hagelüken, »Stiller Poker um Wasser und Kontodaten«, in: Süddeutsche Zeitung, 20. Juni 2014, online: http://www.sueddeutsche.de/geld/dienstleistungsvertrag-tisa-stiller-poker-um-wasser-und-kontodaten-1.2007020 (letzter Zugriff: 21. Juni 2014).

 

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