Kreuzberger Salon 37 | Frei handeln?

DSCF4264Frei handeln?

Vor einem Jahr polemisierte der britische Schriftsteller und Historiker Timothy Garton Ash im Guardian[1] gegen das Akronym TTIP für die derzeit verhandelte Transatlantic Trade and Investment Partnership. Als Alternative schlug er vor, das zwischen den USA und Europa geplante Freihandelsabkommen TAP abzukürzen, für Trans-Atlantic Partnership, um es als Pendant zur bereits 2006 in Kraft getretenen TPP (Trans-Pacific Partnership) zu begreifen. Oder EBC, um klarzumachen, wofür dieses Abkommen in Wahrheit stehe: Everybody But China, denn Freihandel privilegiert die daran Beteiligten auf Kosten derer, die davon ausgeschlossen sind.

An TTIP (sprich T-Tip) knüpfen sich seitens seiner Befürworter hohe Erwartungen: ein langfristiges Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens von durchschnittlich fünf Prozent in Europa, 13,4 Prozent sogar in den USA. Zumindest besagt das die Prognose einer Studie des ifo-Instituts im Auftrag der Bertelsmann Stiftung vom Juni 2013.[2]

Diese Aussagen werden durch konkrete Vergleichszeiträume relativiert. »Eine Studie des TAFTA-freundlichen European Centre for International Political Economy kommt zu dem Befund, dass das BIP der USA wie der EU – selbst unter extrem blauäugigen Annahmen – allenfalls um ein paar Promille [jährlich; KS] wachsen würde«, schreibt die US-amerikanische Handelsrechtsexpertin Lori Wallach in einem Beitrag für Le Monde diplomatique[3]. Die University of Manchester prognostiziert für Europa ebenfalls nur einen Leistungszuwachs von 0,1 Prozent pro Jahr.[4]

Wenn es nicht um Wachstum geht in ohnehin gesättigten Märkten, worum geht es bei dem kontrovers diskutierten Freihandelsabkommen dann?

Um die Nivellierung national unterschiedlicher Standards, bspw. zu Fragen des Umweltschutzes oder der Lebensmittelsicherheit? Um die Verabschiedung von Investitionsschutzabkommen, bei denen ein Konzern eine Regierung (nie umgekehrt) verklagen kann? Oder um die Vollendung des von Manchester ausgehenden wirtschaftsliberalen Programms?

 

Literatur
• Colin Crouch, Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus. Postdemokratie II, Berlin 2011; Bonn 2011
• Erstes Leak
• Ulrike Herrmann, Freihandel. Projekt der Mächtigen, Brüssel 2014, online abrufbar
• Wolfgang Streeck, Gekaufte Zeit. Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus, Berlin 2013; Bonn 2013

 


 

[1] Timothy Garton Ash, »Welcome to the geopolitics of trade, where Dr Pangloss meets Machiavelli«, The Guardian, 10. Juli 2013, online: http://www.theguardian.com/commentisfree/2013/jul/10/geopolitics-transatlantic-trade-deal (letzter Zugriff: 11. Mai 2014).
[2] »USA und gesamte EU würden von transatlantischem Freihandelsabkommen erheblich profitieren«, Pressemeldung der Bertelsmann Stiftung vom 17.06.2013, online: http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xchg/bst/hs.xsl/nachrichten_116768.htm (letzter Zugriff: 11. Mai 2014).
[3] Lori Wallach, »TAFTA – die große Unterwerfung«, Le monde diplomatique, 8. November 2013, online: http://www.monde-diplomatique.de/pm/2013/11/08.mondeText1.artikel,a0048.idx,0 (letzter Zugriff: 11. Mai 2014).
[4] Vgl. Silvia Liebrich, »TTIP-Freihandelsabkommen zwischen USA und EU. Es geht um mehr als nur Zölle«, Süddeutsche Zeitung, 11. November 2013, online: http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/freihandelsabkommen-zwischen-usa-und-eu-es-geht-um-mehr-als-nur-zoelle-1.1815472 (letzter Zugriff: 11. Mai 2014).

 

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