Kreuzberger Salon 39 | Kohlenstoffdemokratie

 

IMG_1199 - Arbeitskopie 2Kohlenstoffdemokratie

Spricht man nur ganz allgemein vom Zeitalter fossiler Brennstoffe, so lässt man dessen innere Entwicklung außer Acht. Kohle, Erdöl und Erdgas bilden keineswegs eine Art durchgängige energetische Dreifaltigkeit dieser Periode, sondern haben zeitversetzt unterschiedliche Rollen gespielt bzw. spielen sie noch. Die Übergänge oder Verschiebung bei ihrer Nutzung verdienen eine differenzierte Betrachtung, ebenso wie der vorangegangene Übergang von Holz als wichtigstem Brennstoff zu fossilen Energieträgern. Zudem wirft das ein Licht auch auf das Projekt der anstehenden Transformation zu einem zweiten, diesmal technisch basierten Solarsystem. Es ist nämlich keineswegs so, dass nur eine Energiequelle durch eine andere ausgetauscht würde, um eine alte Maschinerie weiter in Gang zu halten.

Ohne die Energieversorgung durch Erdöl, so der britische Historiker Timothy Mitchell, würden die gegenwärtigen Formen politischen und ökonomischen Lebens der führenden Industrienationen nicht existieren. Erst die Versorgung durch die in fossilen Brennstoffen gespeicherte, konzentrierte Energie hat im 19. Jahrhundert neue, aus heutiger Sicht nicht-nachhaltige Lebensweisen möglich gemacht und das erste, agrarische Solarsystem, das auf erneuerbaren Energien basierte, nach und nach abgelöst. In diesem Zeitrahmen sind auch die heutigen Demokratien entstanden, deren untrennbaren Bezügen zur Energieversorgung Mitchell unter dem Begriff »carbon democracy« nachgeht.[1] Er stellt dabei das Konzept, wonach Demokratie nach universellen Prinzipien definiert sei und praktisch als Kopie (»carbon copy«) in jedem beliebigen Land installiert werden könne, mit einem Wortspiel infrage: »But what if democracies have not been carbon copies, but carbon based?«[2] Was also wäre, wenn Demokratien, so wie wir sie kennen, vom Vorhandensein bzw. der Nutzung von Kohlenstoff abhängen würden?

Am Anfang stand hier die Kohle. Statt lokaler, dezentraler Abgreifung und Verwendung der – im Verhältnis zu fossilen Brennstoffen – relativ schwachen Energie aus Sonnenstrahlen, erlaubte die Versorgung mit Kohle der Bevölkerung nun, sich in einem bisher ungekannten Ausmaß in Städten zu konzentrieren. In der Folge konnten Wälder als bisherige Brennstoffquelle abgeholzt und Agrarland für die wachsende Bevölkerung gewonnen werden. Rolf Peter Sieferle verwendet in diesem Zusammenhang den Begriff »unterirdischer Wald«[3] für die Ablösung von Holz durch Kohle. Auch die Kolonialisierung hat den Druck auf die reale Fläche des Mutterlandes verringert und für andere Nutzungsformen freigemacht.

Mit Kohle als Hauptenergieträger entstand die Macht organisierter Arbeiter bedingt durch ihre zentrale strategische Position in Bergbau und Transport. Diese Macht – und die bürgerliche Angst vor ihrem Unruhepotenzial, dem ganzen Spektrum von Streik bis hin zu Revolution – ist durch einen Prozess der Demokratisierung eingehegt worden. Faktoren wie Mechanisierung, Sozialgesetzgebung, Wohlfahrtsstaatlichkeit und Konsumismus arbeiten sozialer Befriedung seither gleichfalls zu. Massendemokratie und die großmaßstäbliche Nutzung fossiler Brennstoffe sind historisch somit relativ neue Phänomene.
Nach dem Zweiten Weltkrieg begann der Wiederaufbau Europas zunächst noch kohlebasiert. Mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Montanunion) wurde eine supranationale Organisation als Vorläufer der EG geschaffen, die auf der Nutzung hiesiger Bodenschätze beruhte. Den USA als neuer Weltmacht gelang es jedoch zunehmend, eine Verschiebung hin zu erdölbasiertem Wirtschaften und Lebensstil durchzusetzen. Mit den Energieflüssen aus kontrolliert-undemokratischen Fördernationen vom Nahen Osten in die westliche Welt wurden Wachstum und Konsumismus befeuert. Demokratien wurden in den Modus von Wohlfahrtsstaatlichkeit mit paritätischer Mitbestimmung überführt.
Während Deutschland heute mit der Energiewende eine komplette Umstellung auf erneuerbare Energien anstrebt und damit einhergehend auch erstmals wieder so etwas wie Energiesouveränität, setzen die USA weiterhin auf fossile Energien und versuchen es mit Fracking.

Es ist die Frage, ob mit erneuerbaren Energien idealiter nicht eine Demokratisierung erreicht werden könnte, die in ihrer Qualität über die Kohlenstoffdemokratien weit hinausgehen würde. Allerdings auch mit bestehenden Vorstellungen von Staatlichkeit und Zentralität nur schwer vereinbar wäre. Mitchell fragt sich in diesem Zusammenhang deshalb, ob die Institutionen, die die zeitgenössischen Kohlenstoffdemokratien hervorgebracht haben, überhaupt in der Lage sind, auch den Austritt aus ihnen zu fassen.

 

Am 23. August 2014 haben rund 7500 Menschen an der deutsch-polnischen Grenze gegen die Abbaggerung weiterer Orte für den Braunkohletagebau durch den schwedischen Energiekonzern Vattenfall demonstriert.

 

 

Literatur
• Timothy Mitchell, Carbon Democracy: Political Power in the Age of Oil, London New York 2011


[1] Timothy Mitchell, »Carbon Democracy«, Version: April 16, 2008 (under review at Economy and Society), http://cmes.hmdc.harvard.edu/files/Mitchell%20Paper.pdf (letzter Zugriff: 20. August 2014).
[2] Ebd., S. 3.
[3] Rolf Peter Sieferle, Der unterirdische Wald. Energiekrise und Industrielle Revolution, München 1982.

 

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