Kreuzberger Salon 17 | Brot

Brot

Als Standardwerk zur Kulturgeschichte des Brotes gelten nach wie vor die knapp 500 Seiten Sechstausend Jahre Brot, ein Buch, das der Berliner Autor Heinrich Eduard Jacob 1944 im amerikanischen Exil veröffentlichte (dt. 1954).

Kürzer fasst sich Predrag Matvejević in seinem Beitrag »Brot und Körper« in der aktuellen Ausgabe von Lettre International. [1]

Aus Anlass des 150. Todestages von Henry David Thoreau am 6. Mai empfehlen sich auch dessen knappe, aber weitreichende Bemerkungen:

»Um die uralte, unentbehrliche Kunst des Brotbackens zu studieren, zog ich alle zu Gebote stehenden Gewährsleute zu Rate. Sie führten mich bis in die primitive Zeit der ersten Erfindung des ungesäuerten Brotes zurück, als die Menschen von Fleisch und Nüssen zum erstenmal zu dieser milden, verfeinerten Kost übergingen. Und über das zufällige Sauerwerden des Teiges, das, wie man annimmt, zur Entdeckung des Gärungsprozesses führte, und die verschiedenen Gärungsverfahren, gelangte ich allmählich zu unserem ›guten, würzigen, gesunden Brot‹ – dieser Stütze des Lebens. Die Hefe, vielfach die Seele unseres Brotes genannt, der Spiritus in seinem Zellgewebe, die wie das Vestalische Feuer gehütet und einst wohl in einer Flasche mit der ›Mayflower‹ herübergebracht wurde, um sich ihrerseits über Amerika auszubreiten, und ihr Einfluß steigt noch immer, schwillt an, überschwemmt in Getreidefluten das Land – ich besorgte sie mir regelmäßig und gewissenhaft im Ort, bis ich eines Morgens schließlich alle Regeln vergaß und meine Hefe verbrühen ließ.
(…)
In diesem Land des Roggens und des Maises könnte jeder Neuengländer leicht selbst anbauen, was er zum Brotbacken braucht, und wäre nicht auf entlegene, unsichere Märkte angewiesen. Aber wir sind so weit von jeder Einfachheit und Unabhängigkeit entfernt, daß in Concord frisches Maismehl nur selten erhältlich ist. Gröberes Maismehl und Maisgrieß werden überhaupt kaum verwendet. Der Farmer verfüttert das eigene Getreide gewöhnlich an Rinder und Schweine und kauft sein Mehl für teures Geld im Laden, wo es bestimmt nicht bekömmlicher ist.«[2]

In Anknüpfung hieran wird es also gehen um: den Übergang von der Kost der Jäger und Sammler zur Ernährung durch Agrikultur mit der neolithischen Revolution, die Kultivierung von mikrobiologischen Prozessen der Gärung im besonderen, aber auch im Zusammenhang der anderen Gärungsgewerbe (Bier, Wein, Käse), die Geschichte der selektiven Züchtung und Verbreitung verschiedener Getreidesorten, ihr Rückgang im Zuge von Industrialisierung und Marktgängigkeit sowie ihre gegenwärtige Wiederentdeckung, die Entstehung der wirtschaftsliberalen Idee des Freihandels im Rahmen des Getreidehandels, den Verlust von Autarkie und Ernährungssicherheit, Getreide als Spekulationsobjekt, die problematischen Aspekte einer auf Fleischproduktion ausgerichteten Landwirtschaft, Getreide als Energiepflanze usw.

War der Übergang vom Jäger- und Sammlerdasein zu Sesshaftigkeit und Agrikultur die Anpassungsleistung an Klima- und Umweltveränderungen gegen Ende der letzten Eiszeit? Oder wurde die Agrikultur zu Zwecken des Kultes und des Rausches eingeführt, wie Josef H. Reichholf in seinem Buch Warum die Menschen sesshaft wurden (Frankfurt/M. 2008) ausführt … Die Anfänge liegen im Dunkeln.

Predrag Matvejević schreibt:

»Alten Erzählungen zufolge ist die Backhefe womöglich zufällig entstanden. Jemand hat einen Becher Bier in einen Trog voll Teig geleert. Die einen schreiben diesen Akt einer zerstreuten Frau, die anderen einem angetrunkenen Mann zu.
Wir werden nie erfahren, wie es wirklich war.«[3]

 


[1] Predrag Matvejević, »Brot und Körper«, in: Lettre International, 96, Frühjahr 2012, S. 40–44.
[2] Henry David Thoreau, Walden. Ein Leben mit der Natur (1854), München 1999, S. 70ff.

[3] Matvejević, a.a.O., S. 42.

 

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