Kreuzberger Salon 16 | Die Oder – Grenzfluss und Flussgebiet

 

Die Oder – Grenzfluss und Flussgebiet

In das Zeitalter der Aufklärung fällt der Siebenjährige Krieg. Schlesien und die durch diese Region strömende Oder werden, mit Ausnahme des in Mähren liegenden Quellgebietes, Teil Preußens. Eine Zeit großer Kolonisierungen schließt sich an. 1747 leitet der preußische König Friedrich II. die Trockenlegung des Oderbruchs ein. Am Ende dieser lichten Epoche verschwindet Polen in Gänze von der Landkarte. Die östlichen Zuflüsse der Oder werden preußische Gewässer.

Die Verbreitung der aufklärerischen Ideale, allen voran die Grundüberzeugung von der Autonomie der menschlichen Vernunft, wird von verschiedenen Verlusterfahrungen begleitet. Dagegen opponieren die Romantiker. Der Rhein wird zu ihrem Leitbild. Heinrich Heines »Im Rhein, im schönen Strome« wird von Franz Liszt vertont. Johann Strauss’ Werk »An der schönen blauen Donau« erlangt Weltruhm. Auch Joseph Freiherr von Eichendorff, geboren 1788 im Schloss Lubowitz/Łubowice bei Ratibor/Racibórz, zieht es in Jugendjahren an einen großen Fluss – an die unterhalb des Schlossgartens dahinströmende Oder. Dort lauscht er den »fremden frohen Lauten«, die von Flößern und Schiffern kommen. Im Osterzeugnis der 6. Klasse wird dem damals 15-Jährigen beim »Unterricht in der polnischen Sprache« bescheinigt, dass er »diese Sprache als Utraquist ziemlich gut kennt«. Utraquist, das war damals das Wort für Zweisprachigkeit.

Im 19. Jahrhundert setzt die industrielle Revolution den Gewässern weiter zu. Epedimien treten auf. »Deutsche Flüsse oder deutsche Kloaken?« ist eine im späten 19. Jahrhundert häufig erörterte wasserpolitische Frage. Städtehygiene und Gewässerschutz werden zu einer dringlichen Aufgabe. Und zu einer Daueraufgabe im 20. Jahrhundert – diesseits und jenseits der zu einem Grenzfluss erklärten Oder. Wiederholte Wasserbaumaßnahmen und Beeinträchtigungen der Gewässerqualität, zuletzt auch ein heftiges Hochwasser 1997, lösen, mehr im Westen als im Osten, stets aufs Neue Kritik und Disput aus. Kein Einzelfall. Auch die Bewirtschaftung anderer Flüsse ist Anlass für Kontroversen. Daraus erwächst, noch befeuert durch die europäische Integration, das Bedürfnis nach Gewährleistung einer guten Gewässerqualität für alle europäischen Gewässer. Das ist Ziel und Zweck der EG-Wasserrahmenrichtlinie, die, 2000 erlassen, von allen EU-Mitgliedern umzusetzen ist. Die Oder und ihre Zuflüsse bilden fortan ein Flusseinzugsgebiet; Polen, Deutsche und Tschechen eine Flussgebietsgemeinschaft, die gemeinsam das Flusseinzugsgebiet Oder bewirtschaften. Darin liegt auch eine große Chance für eine weitere Vertiefung der EU. 

Thomas Thierschmann 

 

Literatur
• Uwe Rada, Die Oder. Lebenslauf eines Flusses, Berlin 2005
• David Blackbourn, Die Eroberung der Natur. Eine Geschichte der deutschen Landschaft, München 2007
• Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (2010), Die Wasserrahmenrichtlinie. Auf dem Weg zu guten Gewässern – Ergebnisse der Bewirtschaftungsplanung 2009 in Deutschland
Download oder Bestellung der Printausgabe unter http://www.bmu.de/binnengewaesser/downloads/publ/46271.php

 

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