Kreuzberger Salon 69 | Geschätzte Tiere

Geschätzte Tiere
Eine künstlerische Forschung zur Ökosystemdienstleistung von Meeres- und Alpenfauna

Im Fokus meines aktuellen Projekts steht die Inwertsetzung einzelner Tierarten der Nordsee bei Helgoland sowie des Alpenraums, Kanton Uri, Schweiz. Anhand dieser Landschaften werden Nutzen und Leistungen der dortigen Tierarten für den Menschen und deren Übersetzung in monetäre Werte untersucht. Hierbei spielt der kontrovers diskutierte Begriff »Ökosystemdienstleistung« eine zentrale Rolle. Die Ökonomisierung der Fauna wird die Sicht auf und den Umgang des Menschen mit Natur weitreichend verändern – im Positiven wie im Negativen. Mein Anliegen ist es, die Komplexität dieser Prozesse sichtbar zu machen und aus künstlerischer Sicht dafür zu sensibilisieren.

Kritische Stimmen mahnen, die Zukunft der Arten könne von ihrem Wert für die Menschen abhängen. Die »Wertvollen« würden überleben, die im wirtschaftlichen und ökologischen Sinne »Nutzlosen« aussterben. Dieser Naturkapitalismus sei ethisch nicht vertretbar und werde auf lange Sicht zu einem Ausverkauf der Natur führen. Andere Stimmen sagen, der Umweltschutz werde ohne ökonomische Bewertung nicht auskommen, denn nur so könne gezielter Schutz erfolgen. Zudem verlagert die Politik den Umweltschutz immer mehr in die Privatwirtschaft, für die monetäre Anreize wichtig sind. Wird zukünftig unsere Wertschätzung der Tiere einzig durch festgelegte Geld- oder Nutzwerte erfolgen? Was bedeutet dies für unseren Bezug zur Natur und unseren Umgang mit ihr? Durch die sinnstiftende Erzählung über ihre Leistungen werden sie zu marktfähigen Produkten, ein Narrativ, das eine wichtige Rolle bei der Ökonomisierung der Leistungen von Tieren spielt. Hier setzt meine künstlerische Arbeit an, um Tiere durch Einbeziehung vielfältigster Perspektiven und Erzählungen wieder in das »große Ganze« (Conrad Gessner, 16. Jh.) einzufügen.

Wie werden Bewertungssysteme für bestimmte Tierarten festgelegt? An welchen Kriterien orientiert sich die Wissenschaft hier? Welche technischen Mittel kommen dabei zum Einsatz? Ist das »Wissen« der Tiere relevant für ihre Inwertsetzung? Beispielsweise können europäische Austern verunreinigtes Wasser erkennen und filtern, wie wertvoll ist dieses »Wissen«? Welchen Nutzen ziehen wir daraus? Fließen in die Bewertung von Arten die Beziehungen zu den Systemen, von denen die jeweiligen Tiere abhängen, mit ein? Werden stetige und plötzliche potenzielle Veränderungen von Lebensräumen/Lebensgemeinschaften – beispielsweise von Umwelt oder Klima – mit in die Bewertung einbezogen? Haben Wissenschaftler/innen ihr eigenes »persönliches« Wertesystem?

Diesen Fragen und weiteren Aspekten bin ich im Austausch mit Wissenschaftlern des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung auf der Spur. Die Nordsee bei Helgoland ist ein komplexes Ökosystem »im Kleinen«, das sich aufgrund seiner Größe in seinen Zusammenhängen und Einflüssen gut erforschen lässt. Biodiversität, Artenverschiebungen und Besonderheiten – etwa der blaue Hummer – können hier unmittelbar beobachtet werden. Aus den potenziellen Meerestieren habe ich einzelne ausgewählt und sie unter selbst entwickelten Aspekten analysiert, um ihren Wert/Nutzen zu bestimmen. Die aktuelle wissenschaftliche Forschung bezüglich der jeweiligen Tiere, ihrer Lebensbedingungen und des In-Bezug-Seins mit ihrem Umfeld stelle ich meiner eigenen Feldforschung gegenüber. Außerdem integriere ich Einheimische und Touristen durch Gespräche. Dem Gegenstand meiner Untersuchung nähere ich mich so unter Einbeziehung vieler Perspektiven und Medien, um unterschiedliche Wirklichkeiten aufzeichnen zu können, sie ästhetisch und emotional erfahrbar zu machen. Hierzu entsteht ein neuer Zyklus mit Zeichnungen, Videos und Hörstücken.

Ermöglicht durch das Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung auf Helgoland, das Hanse-Wissenschaftskolleg in Delmenhorst und die Stiftung Kunstdepot Göschenen in der Schweiz.

Nicole Schuck

 

Abbildung: Nicole Schuck, Homarus gammarus, 2017, Bleistift auf Papier, 29,7 x 42 cm
Foto: © Beat Brogle

www.nicoleschuck.de

 

 

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