Kreuzberger Salon 51 | Landtechnik

Landtechnik

»Man kennt freilich die Hindernisse, die der fortschrittlichen Landwirtschaft mit Maschinen und großen Absatzmärkten durch die verschiedenen Gebräuche entgegengesetzt werden … Wenn diese Schranken überwunden werden durch ein einziges Gesetzeskorpus … nun, dann kommt schließlich auch die industrielle Landwirtschaft in Schwung.«
Gabriel Tarde, Die Gesetze der Nachahmung, 1890

 

Ländliches Brauchtum, Traditionen, Gewohnheiten und vernakuläres Recht – das Land hat im Verlauf der Industrialisierung zunächst die Rolle des Konservativen übernommen, während die Stadt zum Inbegriff der Modernisierung geworden ist. Gesellschaftlicher Fortschritt und Festhalten an Traditionen wurden somit topografisch verteilt. Zum Ende des 19. Jahrhunderts zeichnete sich diese Asymmetrie – etwa für den französischen Soziologen Gabriel Tarde – deutlich ab.

Doch darüber hinaus ließen sich Praktiken kontinuierlicher Fabrikproduktion tatsächlich nicht ohne Weiteres auf das zyklische, an die Reproduktionsrhythmen von Pflanzen und Tieren angepasste Wirtschaften der althergebrachten Agrikultur übertragen. Hier bedurfte es zunächst der Schaffung von größeren Einheiten und rationeller Standardisierung. Sowie von Flächenzusammenlegung, sei es durch Erwerb oder Aneignung von Land, Flurbereinigung oder Bodenreform auf der Produktionsseite und die Schaffung größerer Märkte durch Freihandel auf bi- oder multilateraler Ebene auf der Absatzseite.

Im Vergleich mit anderen Wirtschaftsbereichen erfolgte die Industrialisierung der Landwirtschaft also mit Verzögerung. Der Verlust ihrer alten Autonomie ist eine Erfahrung des 20. Jahrhunderts. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg verschwand das Pferd in Deutschland aus der Landwirtschaft, und mit fossilem Treibstoff angetriebene Aggregate sorgten für eine bis dahin unbekannte Beschleunigung. Die Agrikulturlandschaft, die noch unsere Erinnerung prägt, ist nach und nach mit den Veränderungen der Bedingungen bäuerlichen Lebens verschwunden, die sie einst hervorgebracht hat.

Mit Karl Marx als Ideengeber wurde das in der DDR im Sinne einer Angleichung von Stadt und Land stärker vorangetrieben als in der alten Bundesrepublik. Die aus der Zwangskollektivierung hervorgegangenen und nach der politischen Wende privatisierten Großbetriebe machten so paradoxerweise nach dem Ende des Sozialismus erst richtig Karriere. Sie entpuppten sich als ideale Vorformatierung für eine kapitalintensive und marktintegrierte, großflächige Agrarindustrie, der eine autoritär sozialisierte und ehedem per Bodenreform entbauerte Landarbeiterschaft, die zudem durch Abwanderung und Überalterung geschwächt war, nicht viel entgegenzusetzen hatte.

Der Kreuzberger Salon 51 widmet sich den neuesten Entwicklungen, die auf der Fachmesse Agritechnica vom 10. bis 14. November 2015 in Hannover vorgestellt werden.

 

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