Raumpioniere in ländlichen Regionen

»Und dann hätte er gefragt, ob in der Gegend nicht noch so ein Haus und noch so ein Grundstück zu erwerben seien, er sei interessiert. Er hätte uns Pioniere genannt und nun endlich die Scheune sehen wollen. Auf dem Weg wäre er neben den Hühnern stehen geblieben, hätte von frischen Eiern geschwärmt, plötzlich innegehalten und gesagt: ›Mal ehrlich: Was will ich in der Stadt?‹ … Dann wären wir in die Scheune gegangen, hätten vom Dorf geredet und davon, wie es sich dank unserer und seiner Anwesenheit bald verändern würde, wie sich enge Stirnen verbreitern und wie sich Vorbehalte im Stumpenrauch auflösen würden.«
Daniel Mezger, Land spielen

Das von Kerstin Faber im Kreuzberger Salon 11 | November 2011 angekündigte Buch Raumpioniere in ländlichen Regionen. Neue Wege der Daseinsvorsorge hat jetzt, nach seinem Erscheinen im Frühjahr 2013 im Leipziger Verlag Spector Books, eine kontroverse Diskussion ausgelöst.
Entzündet hat sich dies vor allem an Thesen, die Co-Herausgeber Philipp Oswalt, Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau, als Schlussfolgerungen ihrer Forschung formuliert hat. In Anbetracht der demografischen Entwicklung in den betroffenen Regionen spricht er sich für einen Paradigmenwechsel aus: weg vom Leistungsstaat und hin zu einem Gewährleistungsstaat als Rahmen für bürgerschaftliches Engagement. Statt der grundgesetzlich formulierten »Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse« wird eine Abkehr vom Zentrale-Orte-Modell und dessen Isotopie vorgeschlagen hin zu einem Zugriff auf Leistungen nach dem Modell des Cloud-Computing.

Der Enthusiasmus bzw. die Hoffnung, mit dem der Begriff der Raumpioniere einst gehandelt wurde, ist heute der Prosa des Alltags gewichen. Es sind nunmehr Helden des Rückzugs, denen es um die sogenannte Daseinsfürsorge geht: den Anschluss an Wasser, Strom, Gas, Kanalisation, das Gesundheitswesen und ein wenig Kultur etc.

Dass der Raumpionier heute schon in die Belletristik Einzug gehalten hat, zeigt deutlich, dass er im emphatischen Sinne bereits Geschichte geworden ist. Bei Daniel Mezger in Land spielen geschieht dies noch im Konjunktiv mit vielen »hätte« und »wäre«, bei Michel Houellebecq ganz konkret im Futur: Am Schluss seines Romans Karte und Gebiet (La carte et le territoire) extrapoliert er Beobachtungen und Tendenzen aus dem gegenwärtigen ländlichen Frankreich – hier ist der rurale Exodus gestoppt, die Landbevölkerung wächst wieder – in die nicht allzu ferne Zukunft. Sein überschwängliches Lob des Neo-Ruralismus genießt sarkastisch das Verschwinden der bornierten Alteingesessenen.
Kreuzberger Salon 25 | WORLD = COUNTRYSIDE