Kreuzberger Salon 58 | Plantenary Urbanism

PLANTenary URBANISMPLANTenary URBANISM – von wandernden Arten und glücklichen Menschen
Begleittext zum Beitrag von Myriel Milicevic, Leonie Fischer & Jasmin Honold*

Weltweit wachsen mit der Bevölkerung die städtischen Gebiete – in fast unvorstellbaren Ausmaßen: Nach Vaclav Smil (2013) hat allein China zwischen 2011 und 2013 mehr Zement dafür verbraucht als die USA im gesamten 20. Jahrhundert. In Deutschland werden täglich noch immer ca. 73 Hektar unversiegelter Boden in eine meist bebaute Fläche umgewandelt, also weit mehr als der für das Jahr 2020 anvisierte Flächenverbrauch von 30 Hektar täglich. Dabei werden die Lebensräume zahlreicher Tier- und Pflanzenarten zerstört oder fragmentiert, sodass sie nicht mehr als intakte Ökosysteme funktionieren können. Die Urbanisierung führt daher zu einem generellen Rückgang der Biodiversität, z.B. seltener oder einheimischer Arten. Biodiversitätsverlust gilt neben dem Klimawandel als größte ökologische Katastrophe der Gegenwart […].

Auch für den Menschen ist die städtische Verdichtung eine Herausforderung, da StadtbewohnerInnen mit zahlreichen Umweltbelastungen konfrontiert sind, die aus industrieller Produktion, starkem Verkehrsaufkommen und einer hohen Bebauungsdichte resultieren. Diese Umweltbedingungen können nicht nur die körperliche Gesundheit gefährden, sondern auch das psychische Wohlbefinden einschränken […].

Neuere Erkenntnisse zeigen aber Möglichkeiten auf, diesen Risikofaktoren der Urbanisierung zu begegnen: Der Aufenthalt in, oder der Blick auf begrünte Umgebungen können innerhalb urbaner Gebiete Stress reduzieren und so die Gesundheit von StadtbewohnerInnen fördern. Dabei scheint insbesondere eine hohe Vielfalt an Vegetation vorteilhaft zu sein […].

Städte können aber auch Nischen für eine Vielfalt von Arten und Erholungsräume für Menschen bieten. Gezielte Maßnahmen können dafür sorgen, die biologische Vielfalt und damit auch die menschliche Gesundheit zu fördern.

[…] Berlin als Modellstadt: Berlin wird häufig als eine überdurchschnittlich grüne Stadt wahrgenommen und besitzt durch seine Geschichte – insbesondere durch Baulücken aus dem Zweiten Weltkrieg und den lange Zeit unbebauten Mauerstreifen nach der deutschen Trennung – eine Vielzahl unterschiedlicher Grünflächen und Brachen. Dennoch ist der aktuelle Versieglungsgrad um 35% als relativ hoch zu bewerten. […]

Zur Untersuchung und Darstellung unserer These recherchierten wir zunächst die Anteile unterschiedlicher Flächennutzungen im Berliner Stadtgebiet […]. Dann durchsuchten wir wissenschaftliche Studien, die Aussagen zu folgenden ökologischen Funktionen dieser Flächennutzungen erlauben: Effekte auf das Mikroklima, Versieglungsgrad bzw. Durchlässigkeit und Tiefe des Bodens, Zusammenhänge mit der Artenvielfalt und mit dem „Glück“ bzw. dem Wohlbefinden von StadtbewohnerInnen. Letzteres fasst Studien zur körperlichen und psychischen Gesundheit, zur Wohn- und Lebenszufriedenheit und zur geistigen Leistungsfähigkeit zusammen. […]

Viele urbane Flächennutzungen haben Potenzial, Biodiversität und menschliches Wohlbefinden zu erhalten und zu fördern. Die Gegenüberstellung von umweltpsychologischen und vegetationsökologischen Erkenntnissen lässt vermuten, dass Maßnahmen und Konzepte zur Förderung des einen auch das andere unterstützen […]

Das enge Mosaik unterschiedlicher Flächennutzungen in städtischen Regionen ist ein wichtiger Baustein für die urbane Biodiversität. […] In Anbetracht der Tatsache, dass GroßstädterInnen immer seltener die Chance haben, eine Vielfalt von Arten zu erfahren („extinction of experience“), können biodiversitätsfördernde Maßnahmen nicht nur den Pflanzen- und Tierarten, sondern auch dem menschlichen Wohlbefinden zu Gute kommen.

 * Der vollständige Text mit allen Quellenangaben erschien in Arch+ 223, Planetary Urbanism: The Transformative Power of Cities, Juni 2016

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