Kreuzberger Salon 34 | Zurück in die Gegenwart. Hiroshima und Nagasaki versus Nevada Test Site

Zurück in die Gegenwart. Hiroshima und Nagasaki versus Nevada Test Site

»Im Jahr 2010/11 erhielt ich ein Aufenthaltsstipendium vom Center of Landuse Interpretation (clui.org) in Wendover; ein kleiner Ort, der sich circa 120 Meilen westlich von Salt Lake City an der US-Bundesstaatengrenze von Utah und Nevada befindet. Der Trailer, in dem ich wohnte, befand sich direkt neben dem Gelände, auf dem das Militär für den atomaren Schlag auf Japan als Teil des Manhattan-Projekts trainierte. Hier wurde die Enola Gay getestet und die Atombomben Little Boy (Hiroshima, 6. August 1945, 9:15 Uhr) und Fat Man (Nagasaki, 9. August 1945,11:02 Uhr) für den Abwurf auf Japan optimiert.
Vor dem Hintergrund dieses Aufenthalts sind meine beiden Fotosammlungen entstanden, die meine Beschäftigung mit der US-amerikanischen Atomgeschichte und deren verheerenden Folgen wiedergeben. Meine Nachforschungen führen mich nach Japan und in die USA.
In Nagasaki und Hiroshima laufe ich zum ehemaligen Ground Zero und besuche die Gedenkstätten und Museen. Eine unheimliche Leere ist zu spüren. Ich bin überrascht, dass dort moderne Städte entstanden sind, die völlig ›clean‹ wirken. Ich frage mich, wie hoch die Reststrahlung noch ist.
Zum einen scheint die Bevölkerung die historischen Ereignisse überwunden zu haben und zum anderen bleibt die aktuelle Katastrophe in Fukushima völlig unerwähnt.
In Las Vegas (Nevada) finde ich im National Museum of Atomic Testing eher generelle Informationen zum Thema Atomkraft vor. Hier wird die historische Nevada Test Site[1] gut dokumentiert und ihre heutige Funktion ausführlich erklärt. Allerdings wird auf die grauenhaften Folgen des Abwurfs der Atombomben auf Japan kaum Bezug genommen und auf die aktuelle atomare Gefahr für die Menschheit nur spärlich hingewiesen.
Ich beschließe, das Angebot, allgemeinen Erklärungen zu folgen, abzulehnen, und begebe mich auf eine andersgeartete Suche. Ich fotografiere die Gedenkstätten bzw. Museen und kreiere Frottagen vor Ort. Sowohl gedrucktes Material, wie Karten, Flyer und historische Fotoabbildungen, als auch Fundstücke werden Teil meiner Sammlung. Hiervon erstelle ich Fotografien, die ich in Buchform zusammenfasse, mit dem Ziel, visuelle Denksysteme zu kreieren, die neue inhaltliche Bezüge zulassen.«

Eva Castringius

[1] Bei der Nevada Test Site handelt es sich um ein 3.500 km2 großes Sperrgebiet innerhalb der Nellis-Range nördlich von Las Vegas im US-Bundesstaat Nevada. Auf dem Gelände wurden 119 oberirdische Kernwaffentests und 1000 unterirdische Atombombentests getätigt. Bis heute werden hier zahlreiche physikalische Versuche durchgeführt.

Literatur
• Rudolph Herzog, Der verstrahlte Westernheld (und anderer Irrsinn aus dem Atomzeitalter), Berlin 2012
• Florian Sprenger, »Gefährdungen der Zukunft«, in: Lorenz Engell, Bernhard Siegert, Joseph Vogl (Hg.), Gefahrensinn. Archiv für Mediengeschichte 9, München 2009, S. 79–91
• Florian Sprenger, »Atomare Hinterlassenschaften – Die strahlende Zukunft des kalten Krieges«, in: Patrick Bernhard, Holger Nehring (Hg.), Den Kalten Krieg denken. Beiträge zur sozialen Ideengeschichte seit 1945, Essen 2014, S. 337–358

 

Fotos: © Eva Castringius

 

Eva Castringius hat sich in den letzten Jahren der Verschränkung von Stadt und Landschaft gewidmet. Ihre Arbeiten untersuchen u. a. die Tagebaugebiete Cottbus Nord und Welzow Süd (»alpine glow«), den Los Angeles River als Teil der urbanen industriellen Infrastruktur (»NIGHT FOR DAY«), die Wasserversorgung von Los Angeles per Aquädukt und deren ökologische Folgen für das Owens Valley (»The Great Thirst«) sowie die vom Rohstoffabbau gezeichneten Bergbaulandschaften im Südwesten der USA (»Goldstrike«, »K-PAX«) und in Kanada (»GerryCanMore«). Ihre Beschäftigung mit Hiroshima, Nagasaki und mit der Nevada Test Site schließt an frühere Projekte zum Einsatz von Nukleartechnik an (»Tschernobyl«, »How To Photograph An Atomic Cloud«).

www.evacastringius.de

 

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