Kreuzberger Salon 31 | Fungi – Freunde und/oder Feinde

Fungi – Freunde und/oder Feinde

»Gute Pilze und schöne Pilze. Es gibt kein Buch über Pilze, in dem sie in schöne und häßliche eingeteilt sind, in duftende und stinkende, in solche, die sich angenehm, und solche, die sich unangenehm anfassen, in solche, die zur Sünde verleiten, und solche, die von Sünden befreien. Die Menschen sehen, was sie sehen wollen, und am Ende kriegen sie das, was sie wollen. Klare, aber falsche Unterteilungen. In der Welt der Pilze jedoch ist nichts sicher.«[1]
Olga Tokarczuk

Seit einiger Zeit erfreuen sich Themen wie Gemeinsamkeit und Gemeingüter wachsender Beliebtheit. Zusammenarbeiten und zusammen nutzen werden als Praktiken neu gedacht und erprobt. Sie werden rehabilitiert als Alternative zum liberalistischen Anspruch, für den in erster Linie Eigennutz und Konkurrenz Antriebe für Wachstum und Fortschritt sind.

Wenn die Abkehr von nicht erneuerbaren Energien gesellschaftliches und politisches Programm ist, ist aber auch ein anderes Verständnis von Wachstum gefordert. Neben dem mechanischen Abgreifen von Wind- und Wasserkraft sowie der Photovoltaik (Licht) kommt Energie aus nachwachsenden Rohstoffen erhebliche Bedeutung zu.

Pflanzen, Tiere, Menschen und alles, was sich dem Leben verdankt, die sogenannte Biomasse, wird allerdings zu einem großen Teil durch Verhältnisse erzeugt, die nicht wettbewerblich sind, sondern auf Gegenseitigkeit beruhen. Der Mutualismus, bei dem zwei oder mehrere Partien gemeinsam Vorteile haben (eine klassische »Win-win-Situation«), steht somit neben asymmetrischen Beziehungen wie Räuber-Beute-Verhältnissen oder Parasitismus.

Nicht also, dass es keine Konkurrenz gäbe. Aber die Überbewertung allein eines Prinzips kann gesellschaftlich auch dazu instrumentalisiert werden, dass Nutznießer sich Praktiken, die Kritiker als »Raubtierkapitalismus« oder »Heuschrecken« bezeichnen, legitimieren.

Pflanzen, »die unmittelbarste Sprache des Bodens«[2], sind die einzigen Lebewesen, die – ausreichend Wasser und Nährstoffe vorausgesetzt – die Energie des Sonnenlichts durch Photosynthese adaptieren und Anorganisches in Organisches verwandeln können. »Hände und Füße in die Erde stecken, um Wurzeln zu treiben und nie diese glückliche Nachbarschaft zu verlassen[3]« ist jedoch ein vergeblicher, romantischer Wunsch. Der Imperativ der Moderne lautet: »Man liegt nicht mehr unter einem Baum und guckt zwischen der großen und der zweiten Zehe hindurch in den Himmel, sondern man schafft; man darf auch nicht hungrig und verträumt sein, wenn man tüchtig sein will, sondern muß Beefsteak essen und sich rühren«.[4]

Ob Fleischfresser (Carnivoren) oder Pflanzenfresser (Herbivoren): Menschen und Tiere sind Lebewesen, die ihre Energie über organische Moleküle aufnehmen müssen (heterotroph = sich von anderen ernährend). Sie sind immer Konsumenten der Primärproduktion in der Folge von Pflanzen, die organisches Material aus anorganischem selbst herstellen (autotroph = sich selbst ernährend). Ebenfalls heterotroph sind Destruenten (Pilze, die meisten Bakterien), die abgestorbene organische Masse wieder zersetzen.

Daraus kann man sich idealiter die Idee eines Kreislaufs konzeptionieren. Voraussetzung ist allerdings, dass der Konsum nicht die Produktion übersteigt. Oder die Produktion den Konsum: In der Vergangenheit sind große Mengen von Biomasse nicht organisch abgebaut worden, sondern unter die Erde geraten und durch geologische Prozesse in hochverdichtete Energiekonserven transformiert worden. Dass erst Millionen Jahre später Lebewesen daran gehen, diese Materialien zu konsumieren, und zwar nicht für den eigenen Stoffwechsel, sondern außerhalb ihrer eigenen Körper, ist ein ziemlich eigenartiger Vorgang, jedenfalls kein Kreislauf.

Für eine Rückkehr zu kreislaufartigem gesellschaftlichem Stoffwechsel stehen zur Verfügung: Wind- und Wassermühlen als optimierte Varianten vorindustrieller Technik, neue Technologien wie Photovoltaik und vielleicht künstliche Photosynthese sowie die Inanspruchnahme mikroorganismischer Prozesse (Bakterien, Pilze). Gerade in diesem Bereich, der wissenschaftlich bis ins 19. Jahrhundert im Dunklen lag, wird noch viel erhofft (siehe Bioökonomie).

In Anlehnung an die schon in verschiedenen Zusammenhängen (Brot, Wein, Nahrungsmittel, Schädlinge) thematisierten Pilze, versucht der Kreuzberger Salon 31 unter dem Titel »Fungi – Freunde und/oder Feinde«, diesen Destruenten und ihren Vergesellschaftungsformen weiter nachzugehen.

 

Literatur
• Michael Begon, John L. Harper, Colin R. Townsend, Ökologie. Individuen, Populationen und Lebensgemeinschaften, Basel Boston Berlin, 1991
• Heinrich Dörfelt, BI-Lexikon. Mykologie – Pilzkunde, Leipzig 1988
• Heinrich Dörfelt, Herbert Görner, Die Welt der Pilze, Leipzig Jena Berlin, 1989
• »Ein Pilz-Freund fürs Leben«, http://www.pflanzenforschung.de/index.php?cID=5899 (Stand: 3.11.2013)
• »Mehr CO2 durch Mykorrhizapilze?«, http://www.pflanzenforschung.de/de/journal/journalbeitrage/mehr-co2-durch-mykorrhizapilze-1892 (Stand: 3.11.2013)
• »Planet der Pilze – neue Erkenntnisse über eine bislang unterschätzte Vielfalt«, http://www.innovations-report.de/html/berichte/biowissenschaften_chemie/planet_pilze_neue_erkenntnisse_bislang_221647.html (Stand: 3.11.2013)
• »Symbiose als Nahrstoffmarkt«, http://www.pflanzenforschung.de/index.php?cID=5646 (Stand: 3.11.2013)

 


[1] Olga Tokarczuk, Taghaus, Nachthaus, München und Stuttgart 2001, S. 240.
[2] Novalis, Heinrich von Ofterdingen, in: Novalis. Werke, Tagebücher und Briefe Friedrich von Hardenbergs, hg. von Hans-Joachim Mähl und Richard Samuel, München 1978, S. 377.
[3] Ebd.
[4] Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften, in: Robert Musil. Gesammelte Werke, hg. von Adolf Frisé, Hamburg 1978, S. 39.

 

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