Kreuzberger Salon 22 | Boden: Zwischen Degradation und Kommodifizierung

Boden: Zwischen Degradation und Kommodifizierung

»Was wir als Grund und Boden bezeichnen, ist ein mit den Lebensumständen des Menschen untrennbar verwobenes Stück Natur. Dieses Stück Natur herauszunehmen und einen Markt daraus zu machen, war das vielleicht absurdeste Unterfangen unserer Vorfahren.«[1]
Karl Polanyi, The Great Transformation (1944)

Knapp zwanzig Jahre nach Veröffentlichung des Jahresgutachtens des Wissenschaftlichen Beirats Globale Umweltveränderungen, Gefährdung der Böden (1994), ist der Schutz der Böden als eine vorrangige Kulturaufgabe noch nicht breit im Bewusstsein verankert. Boden wurde zwar durch das 1999 in Kraft getretene Bundes-Bodenschutzgesetz (BBodSchG) und die Bundes-Bodenschutz- und Altlastenverordnung (BBodSchV) – nach Luft (BImSchG und Landesimmissionsschutzgesetze) und Wasser (WHG und Landeswassergesetze) – als letztes Umweltmedium einem spezialgesetzlichen Schutz unterstellt, gilt aber weiterhin als vergessene und gefährdete Ressource. Die 2006 von der EU-Kommission vorgelegte Bodenrahmenrichtlinie (BRRL), mit der die zunehmende Bodendegradation in Europa reduziert werden soll, wurde bis heute nicht verabschiedet, unter anderem wegen der Blockade Deutschlands.

Boden ist mit der Eigentumsfrage untrennbar verbunden. In der modernen Gesellschaft, die sich aus einer von der Agrikultur geprägten Gesellschaft entwickelt hat, gehört der Boden in der Regel jemandem, gibt es kein »freies« Land mehr.

Ob der Boden einem ursprünglich zugeteilt wurde oder man ihn sich angeeignet hat, ob das Eigentum oder Besitz war oder nur ein (zeitlich befristetes) Lehen – man hat den Boden so lange genutzt, wie er fruchtbar bzw. ertragreich war, und ist dann weitergezogen. Mit dem Bevölkerungswachstum und der Sesshaftigkeit kamen Probleme der Übernutzung, und es entstand die Idee der Nachhaltigkeit.

»Viele der ökologischen Sünden der Agrargesellschaften … hätten unterbleiben können, wenn man sich ihrer bewußt gewesen wäre und wenn Wege bestanden hätten, dieses Wissen auch in die Tat umzusetzen. Es war ja keineswegs so, daß etwa in der Antike der Zusammenhang von Entwaldung, Ziegenweide, Erosion und Überschwemmung nicht prinzipiell bekannt gewesen wäre. Agrarschriftsteller wie Columella führten die Verschlechterung des Bodenzustandes und den Rückgang des Ertrags ausdrücklich auf Fehlhandlungen des Menschen zurück. Man war aber offenbar politisch nicht in der Lage, diese Erkenntnisse anzuwenden und die Bauern zu veranlassen, ihre Wirtschaftsweise zu ändern.«[2]

Daran hat sich, wenn auch in größerem Stil, bis heute nichts wesentlich verändert, wenngleich der Druck auf den Boden seit der Industrialisierung noch weiter gewachsen ist. Die Effekte von Energiefragen, Urbanisierung, Bevölkerungsprognose und Klimawandel sind mittlerweile gängige Themen. Dass uns schon vorher der Boden ausgeht, ist aufgrund einer allgemeinen Bodenvergessenheit weit weniger bewusst. Eine Katastrophe, wie Thomas Malthus sie prophezeit hat, ist nicht auszuschließen.

Soll man weiterhin auf politische Vernunft hoffen? Darf man auf prometheische Innovationen setzen? Oder muss man mit militärischen Lösungen rechnen?

Literatur (Auswahl)
• Rolf Peter Sieferle, Bevölkerungswachstum und Naturhaushalt, Frankfurt am Main 1990
• Wissenschaftlicher Beirat Globale Umweltveränderungen, Welt im Wandel. Gefährdung der Böden, Bonn 1994 (kostenloser Download: http://www.wbgu.de/hauptgutachten/hg-1994-boeden/)
• David R. Montgomery, Dreck, München 2010; Bonn 2011
• Elisabeth Meyer-Renschhausen, Probleme der Welternährung. Die neue Bodenfrage, Berlin o.J. (2012)
• Dieter Apel, Landschaft und Landnutzung, München 2012

 


[1] Karl Polanyi, The Great Transformation (1944), Frankfurt am Main 1978, S. 243.
[2] Rolf Peter Sieferle, Der unterirdische Wald. Energiekrise und Industrielle Revolution, München 1982, S. 47.

 

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